Laut Robeyns liegt ein entscheidender Teil der Lösung in den Händen von Investor:innen und Finanzinstitutionen, die wirtschaftliche Strukturen gestalten und exzessive Vermögensanhäufung eindämmen können. In der Podcast-Reihe Inside Impact Investing spricht Robeyns mit Hans Stegeman, Chefökonom von Triodos, über ihr Buch Limitarianism: The Case Against Extreme Wealth. Im Gespräch erklärt sie, warum Vermögenskonzentration ein bedeutendes moralisches und wirtschaftliches Problem ist – und welche Schritte Investoren dagegen unternehmen können.
Die moralische Dimension extremen Reichtums
Robeyns betont, dass die Welt mit multiplen Krisen konfrontiert ist, insbesondere mit ökologischer Zerstörung und wachsender sozioökonomischer Ungleichheit. „Die Geschichte zeigt uns, dass große strukturelle Herausforderungen nur durch Aktivisten verändert werden können“, sagt sie und hebt die Bedeutung jener hervor, die sich für systemischen Wandel einsetzen.
Limitarianismus ist, wie sie beschreibt, das spiegelbildliche Gegenteil einer Welt ohne Armut. Statt sich nur auf die Beseitigung extremer Armut zu konzentrieren, fordert dieses Konzept eine Gesellschaft, in der exzessiver persönlicher Reichtum als unnötig und sogar schädlich angesehen wird. „Limitarianismus geht davon aus, dass diese Welt eine bessere ist“, erklärt sie. „Und dass sie die einzig gerechte Welt ist, denn extreme Vermögenskonzentration ist meiner Analyse nach ungerechtfertigt.“
Die gesellschaftlichen Kosten von Vermögensanhäufung
Das Problem extremen Reichtums liegt laut Robeyns nicht nur in der Frage der Fairness, sondern auch in seinem korruptiven Einfluss auf die Gesellschaft. Übermäßiger Reichtum verschafft Einzelpersonen unverhältnismäßige Macht, mit der sie politische Entscheidungen beeinflussen, Gesetze gestalten und Ressourcen monopolisieren können. „Am Ende korrumpiert es die Gesellschaft“, sagt sie. „Die Idee, dass Kapital oder privater Besitz endlos angehäuft werden kann, empfinden wir als normal. Und dass die meisten Menschen das für selbstverständlich halten, zeigt, wie dominant diese Vorstellung ist.“
Zudem werde extremer Reichtum oft auf fragwürdige Weise erworben. In ihrem Buch behandelt Robeyns das Konzept des „schmutzigen Geldes“ und argumentiert, dass ein beträchtlicher Teil des Vermögens aus unethischen Praktiken stammt – etwa Steuerhinterziehung, monopolistische Geschäftsmodelle oder historische Ungerechtigkeiten. „Wenn Geld mit dem Blut versklavter Arbeiter behaftet ist, dann ist das wohl das schlimmste Beispiel“, stellt sie fest und verweist auf Reichtum, der durch koloniale Ausbeutung entstanden ist.
„Das Problem mit extremem Reichtum ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern auch seiner korrupten Wirkung auf die Gesellschaft.“
Ingrid Robeyns
Die Rolle von Investoren und der Finanzbranche
Ein zentrales Argument gegen extremen Reichtum ist, dass er oft auf Privilegien und Glück basiert – und nicht auf persönlichem Verdienst. Robeyns hinterfragt die neoliberale Vorstellung, dass Erfolg ausschließlich das Ergebnis individueller Leistung sei. „Glück spielt eine enorme Rolle in unserem Leben, aber wir neigen dazu, das zu leugnen“, sagt sie. Viele der heutigen Milliardäre hätten ihr Vermögen durch Marktdominanz, Erbschaften oder günstige Investitionen erlangt – Faktoren, die wenig über persönliche Verdienste aussagen.
Die Finanzbranche spiele eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung dieser Strukturen. „Der Finanzsektor bedient die Reichen viel besser als die Armen“, stellt sie fest. „Wohlhabende haben ihren eigenen Privatbanker, der sicherstellt, dass ihr Vermögen erhalten bleibt oder noch wächst.“ Dadurch verstärke sich die Ungleichheit weiter.
Investoren hätten eine moralische Verantwortung sicherzustellen, dass ihr Kapital nicht zur Anhäufung extremer Vermögen beiträgt. Ethische Anlagestrategien – etwa die Bevorzugung von Unternehmen mit fairer Vergütungspolitik oder der Ausschluss von Branchen mit ausbeuterischen Praktiken – könnten helfen, exzessiven Reichtum zu begrenzen. Hans Stegeman erklärt: „Triodos Investment Management berücksichtigt bei Investitionen in börsennotierte Unternehmen immer die CEO-Vergütung. Wenn sie zu hoch ist, schließen wir diese Unternehmen aus.“ Er räumt ein, dass dies auch Herausforderungen mit sich bringt: „Manchmal schadet es dem eigenen Geschäftsmodell. Aber das ist auch eine moralische Frage für den Finanzsektor: Wir könnten es tun – aber sollten wir es tun?“
Eine Obergrenze für Reichtum
Ein besonders provokanter Aspekt von Robeyns' Argumentation ist die Idee einer Reichtumsobergrenze. In ihrer Forschung hat sie untersucht, wo eine sinnvolle „Obergrenze des Reichtums“ liegen könnte, basierend auf empirischen Studien aus den Niederlanden und Großbritannien. „Auch wenn es unterschiedliche Meinungen darüber gibt, wo genau die Grenze liegen sollte – fast alle stimmen zu, dass es eine geben sollte“, erklärt sie.
In ihrem Buch schlägt sie eine persönliche Vermögensobergrenze von 10 Millionen Euro vor. „Eigentlich hätte ich lieber keine Zahl genannt“, gibt sie zu. „Aber sonst hätten Leute gesagt: Ja, eine Grenze ist gut – dann setzen wir sie bei einer Milliarde.“ Sie betont, dass diese Summe kein absoluter Wert, sondern eine Grundlage für die Diskussion sei. „Ich denke aber auch, dass es eine moralische Grenze gibt... Wie viel sollte eine Person für sich behalten dürfen? Und meiner Meinung nach sollte die Obergrenze bei 1 Million Euro liegen.“
Politische und wirtschaftliche Umsetzung
Die größte Herausforderung bei der Einführung limitarianistischer Maßnahmen sei die globale Mobilität von Kapital – also die Möglichkeit der Superreichen, ihr Vermögen in Niedrigsteuerländer zu verlagern. Robeyns fordert, dass Staaten entschieden gegensteuern. „Ein neuer Bericht zeigt, dass die Mindeststeuer von 15 % bereits zu Versuchen führt, Schlupflöcher zu finden“, warnt sie. „Wenn wir das Problem nicht an der Wurzel packen, wird es sich weiterziehen.“
Mögliche Lösungen seien höhere Erbschaftssteuern, Vermögenssteuern und internationale Kooperationen zur Abschaffung von Steueroasen. „Wir brauchen viel mehr Kapazitäten, um Steuererklärungen zu prüfen und Betrug zu bekämpfen“, argumentiert sie. „Es ist unfassbar, dass wir es aufgegeben haben, demokratisch zu kontrollieren, was die reichsten Menschen der Welt tun.“
Der Weg zu einer gerechteren Gesellschaft
Robeyns betont, dass es beim Limitarianismus nicht darum gehe, Reiche zu bestrafen, sondern um eine gerechtere Verteilung von Ressourcen. „Wir müssen alle Interessen abwägen und dürfen uns nicht in eine Position bringen, in der Profitmaximierung unser einziges Ziel ist“, sagt sie. Sie verweist auf Yvon Chouinard, den Gründer von Patagonia, der sein Unternehmen so strukturiert hat, dass ethische Werte über den Gewinninteressen der Aktionäre stehen.
Letztlich fordert Robeyns die Gesellschaft auf, die Vorstellung unbegrenzten Reichtums zu hinterfragen. „Das Perfide an diesem Problem ist, dass es oft eine internationale Dimension hat“, gibt sie zu. „Aber das darf keine Ausrede sein, nichts zu tun.“ Ob durch Besteuerung, Unternehmensverantwortung, ethische Investitionen oder Finanzregulierungen – sie ist überzeugt: Der Zeitpunkt, um extremen Reichtum in Frage zu stellen, ist jetzt.
Hören Sie den Podcast mit Ingrid Robeyns und Hans Stegeman.
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