Wir sprachen mit Helmy Abouleish über seine bewegte Zeit für die ägyptische Initiative und das Land seit der Revolution. Wir trafen den Geschäftsführer der SEKEM-Farm auf der BioFach 2012, der internationalen Leitmesse für die Bio-Branche, und erinnerten uns gemeinsam an die Zeit vor gut einem Jahr, in der die Ägypter auf dem Tahrir-Platz Geschichte schrieben.

Wie verbreitet ist der ganzheitliche Ansatz in Ägypten, nach dem SEKEM und Triodos wirtschaften?
Der ganzheitliche Ansatz, der sowohl ökonomische als auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt, ist trotz der langen Arbeit von SEKEM bisher in Ägypten nicht weit verbreitet. Es gibt ein großes Netzwerk von Bauern, Kunden und Partnern, die mit uns verbunden sind. Aber es haben sich noch keine Initiativen gebildet, die diesen dreigliedrigen Ansatz unabhängig von uns aufgreifen und weiterentwickeln – weder in Ägypten noch in der sonstigen arabischen Welt. Das ist auch eine der großen Herausforderungen für SEKEM und unsere Partner wie die Triodos Bank: Wie können wir unsere Ideen verständlich machen, sodass sie unabhängig von uns aufgegriffen werden?

Gab es Zeiten während der Revolution, in denen die SEKEM-Initiative und die Farm bedroht waren?
Wir schätzen uns sehr glücklich, dass unsere Mitarbeiter vom ersten Tag der Revolution an, dem 25. Januar 2011, bis heute persönlich – und auch durch ihre Familien in den Dörfern um uns herum – die SEKEM getragen und geschützt haben. In der Zeit, in der der ganze Sicherheitsapparat in Ägypten nicht mehr funktioniert hat, haben unsere Mitarbeiter selbst die Farm und die Betriebe 24 Stunden am Tag überwacht. Wir haben unsere Arbeit keinen einzigen Tag unterbrochen. Unsere Mitarbeiter haben bewiesen, dass SEKEM ein Teil von ihrem eigenen Leben und ihren eigenen Zielen ist.

Hat sich das Alltagsgeschäft für SEKEM durch die politische und gesellschaftliche Situation verändert?
Durch die Umbrüche müssen wir auf einmal mit allen möglichen Engpässen umgehen und über ganz andere Dinge nachdenken, wie zum Beispiel die Sicherheitslage. Früher war Ägypten ein sehr sicheres Land. Jetzt denken wir darüber nach, ob ein Risiko für Mitarbeiter besteht, die abends noch spät nach Hause gehen und organisieren die Überwachung unserer Lastwägen. Die Sicherheitslage hat sich heute allerdings im Vergleich zu 2011 bereits erheblich verbessert. Im vergangenen Jahr hatten Einzelhändler zwischenzeitlich andere Arbeitszeiten, Supermärkte wurden ausgeraubt und so haben wir zeitweise Kunden verloren. Auch die Zahlungsbedingungen hatten sich verändert – die Menschen konnten oder wollten nicht mehr zahlen. Die gesamte Wirtschaft in Ägypten ist um einige Prozentpunkte geschrumpft, und das hat natürlich auch auf uns einen großen Einfluss.

Welche Veränderungen erhoffen Sie sich durch die Revolution in Ägypten?
Wir nehmen an, dass Ägypten jetzt erst einmal zwei Jahre braucht, um den riesigen Wandel zu verarbeiten und zu verkraften. In der politischen Führung gibt es jetzt ein Vakuum: ein Parteiensystem, das sich erst noch etablieren muss, keinen Präsidenten, einen Militärrat, der nicht dazu ausgebildet ist, einen Staat zu leiten, und eine Übergangsregierung, die kein Mandat vom Volk hat. All das macht den Wandel in den nächsten zwei Jahren erst einmal sehr schwer. Auf der anderen Seite, wenn wir das gut überstehen – ich hoffe das sehr und nehme es an –, dann haben wir die Chance, dass die Menschen wieder das Gefühl haben, dass Ägypten ihr Land ist. Sie werden motivierter, mit mehr Liebe und Verantwortung in den Veränderungsprozess eingreifen und dann kann Ägypten wieder aufblühen. Ich bin optimistisch, dass sich die Lage im Vergleich zum Status vor der Revolution deutlich verbessert.

In deutschen Medien gab es besorgte Berichte über den Machtzuwachs der Muslimbrüder und die Zurückdrängung liberaler Gesellschaftsteile. Wie berechtigt ist diese Sorge und wie sollte sich Europa Ihrer Meinung nach gegenüber Ägypten verhalten?
In einer demokratischen Wahl, das kann ich selbst bestätigen, waren die Muslimbrüder die stärkste Partei und die Salafisten die zweitgrößte Kraft. Das muss man jetzt erst einmal respektieren, wenn man Demokratie üben will: Es ist das Wahlergebnis der Wähler Ägyptens. Wenn die Muslimbrüder das einhalten, was sie vor der Wahl versprochen haben, werden sie das Land liberal und weltoffen weiterführen, auch wenn sie islamische Gesichtspunkte stärker in die tägliche Politik einfließen lassen. Ich hoffe, die Europäer pflegen weiterhin ihren kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Austausch mit Ägypten und intensivieren ihn sogar noch. Nur wenn wir versuchen, den anderen zu verstehen und Brücken zu bauen, können diese zwei Seiten des Mittelmeeres eine Synergie entwickeln, deren Ergebnis eine nachhaltige Entwicklung für beide ist.

Worauf freuen Sie sich im Rahmen Ihres Besuchs der BioFach 2012 am meisten?
Wir haben hier einige große Themen. Eines ist, wie wir zusammen mit unserem Partner Alnatura den Mehrwert der biologisch-dynamischen Baumwolle, die wir in Ägypten anbauen und der Produkte, die wir daraus in SEKEM herstellen, in Deutschland und in ganz Europa kommunizieren können. Dazu gehören die sozialen Impulse, die hinter dieser Kooperation stehen und auch das, was ich als „Umweltqualität“ bezeichnen würde. Denn wir verbrauchen durch die biologisch-dyamische Anbaumethode weniger Wasser, reduzieren unsere Emissionen und unsere Böden nehmen CO2 auf, anstatt es abzugeben – das kann ein Teil der Lösung von Klimawandel und Wasserknappheit in Afrika sein. jm

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