Er suchte ein Haus für sich – und fand einen Ort für die Gemeinschaft. Michael Stober verrät uns im Gespräch, wie viel Visionär man in sich tragen muss, um ein Kulturgut von der Größenordnung des Landguts A. Borsig aufwendig, originalgetreu und einfühlsam zu renovieren. Und er spricht über das Gefühl, mit dem er im Jahr 2000 zum ersten Mal die verfallenen Gebäude aus rotem Ziegelmauerwerk am Groß Behnitzer See erblickte.

Etwa 25 Kilometer westlich von Berlin liegt das Landgut der Eisenbahnerdynastie Borsig im Havelland. Auf dem in der Mitte des 19. Jahrhunderts als landwirtschaftliches Mustergut geführten Ensemble mit über 30.000 Quadratmetern Grundfläche sollten einst Lebensmittel für die Werkskantinen der Eisenbahnarbeiter in den Borsig-Werken produziert werden. Heute hat Stober als Investor und Enthusiast der ersten Minute das denkmalgeschützte Gut zu neuem Leben erweckt.

Ein Haufen schöner Steine
Der Bauunternehmer war eigentlich auf der Suche nach einem Haus für sich selbst. Stattdessen fand er einen Ort, an dem er eine besondere „Energieanhäufung gespürt“ hat, wie er sagt. Für ihn war sofort klar: Er wollte diesem „Haufen schöner Steine eine Funktion geben, die den Menschen etwas zurückgibt.“ Die Leute hielten ihn für verrückt, weil er ein so großes Projekt angehen und dem Landgut wieder neues Leben einhauchen wollte. Er selbst versteht sein Verrücktsein wörtlich: „Ich möchte wirklich etwas verrücken, etwas bewegen im Leben.“

Mit dem Landgut A. Borsig hat er einen „magischen Ort“ geschaffen, sagt er, an dem Menschen diese Energie, die aus der Geschichte, der Architektur und der Natur dieses besonderen Ortes stammt, erleben, erfahren und genießen können. Unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte hat er ein nachhaltiges Geschäftskonzept mit kulturellem Hintergrund in die Tat umgesetzt. Ein Großteil der Gebäude ist inzwischen aufwendig renoviert. Hier sind Veranstaltungs- und Tagungsräume, ein Restaurant, aber auch Werkstätten für altes Handwerk und ein Museum entstanden. Und auch ein Hotel hat Stober von Anfang an mit eingeplant.

Urlaub mit Geschichte
Aus dem alten Logierhaus, dem Gästehaus des Landguts, entstand ein Hotel mit 24 Doppelzimmern. Das denkmalgeschützte Kulturgut in der eigentlich strukturschwachen Gegend zieht aber inzwischen immer mehr Menschen nicht nur aus der Region Brandenburg oder Berlin an, die Ruhe suchen, Urlaub auf dem Land machen möchten oder einfach nur entschleunigen wollen. Da stieß das Hotel im Logierhaus schnell an seine Grenzen. Zusammen mit seinen Beratern bei der Triodos Bank hat Stober daher 2011 eine Hotelerweiterung in der großen Scheune geplant. Die Triodos Bank, die Stobers Vision von Anfang an begleitete, hat den Hotelneubau mit einem Darlehen finanziert. In diesem Sommer eröffnet das Hotel mit 102 neuen Doppelzimmern in dem 75 Meter langen historischen Gebäude. 20 Suiten des Vier-Sterne-Hauses sind größer als 40 Quadratmeter, sie laden mit einer großen Sitzecke, Büchern, Zeitschriften und eigener Kaffeemaschine zum Verweilen ein.

Neues im Dienste des Alten
Beim Neubau konnte ein Drittel des historischen Baus erhalten werden. Der fehlende Teil wurde durch einen modernen Baukörper ergänzt. Stober möchte nicht einfach Neues gegen Altes tauschen: „Da, wo wir Neues einsetzen, tun wir dies immer im Dienste des Alten.“ Etwa 16.000 alte Steine sammelten die Bauarbeiter auf dem Gelände ein und verwendeten sie für das neue Hotel wieder. Die Ziegel wurden aufgeschnitten und zu einem Fußboden verarbeitet. Den visionären Geist der Borsigs hat Stober auch bei der Technik des Hotels berücksichtigt: Photovoltaikanlage, moderne Regenwassernutzung und eine Hackschnitzelheizung bilden das Rückgrat des modernen, ökologisch ausgerichteten Hotels. Auch bei der Einrichtung wurden baubiologische Kriterien bedacht: „In elektrosmogreduzierten Zimmern können die Gäste wie Gott in Frankreich schlafen“, so Stober, „auf Matratzen aus Bio-Kautschuk in metallfreien Betten, hergestellt in einer sozialen Werkstatt.“ Die Bretter des Fußbodens aus Eichendielen sind so krumm, wie der Baum gewachsen ist, und selbst die Teppiche im Eingangsbereich bestehen aus nachwachsenden Rohstoffen.

Da Ernährung und Landwirtschaft schon bei den Borsigs eine bedeutende Rolle für das Gut spielten, werden auch heute noch Lebensmittel in Bio-Qualität und aus der Region angeboten, die das Hotel etwa vom Ökodorf Brodowin bezieht. Die Geschichte des Landguts lebt heute im Geist des Kulturguts weiter. Denn „wer sich nicht mit Geschichte befasst, kann auch nicht in der Gegenwart ankommen“, meint Stober. „Und wenn man da nicht ankommt, was hat man dann für eine Zukunft?“ ah

POLITIK IM LANDGUT A. BORSIG
Neben Technik, Landwirtschaft und Biologie war auch die Politik ein Themenfeld, für das sich die Borsigs engagierten. Dr. Ernst von Borsig junior, Urenkel und Nachfahre August Borsigs, übernahm 1933 das Gut und führte es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Er war Mitglied im Kreisauer Kreis – der größten Widerstandgruppe gegen den Nationalsozialismus um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg. Die „Kreisauer“ entwickelten Ideen für die Zeit nach dem aus ihrer Sicht unvermeidlichen Untergang des Dritten Reichs und diskutierten ihre Ideen zu Ernährung und Landwirtschaft unter anderem auf dem Landgut A. Borsig.