Unser Interview mit Beatrice Dastis Schenk, der Gründerin und Geschäftsleiterin von Schloss Freudenberg, ließ uns fasziniert zurück. Denn wir erfuhren nicht zuletzt, warum dieses Schloss in Wiesbaden einem Labor gleicht – und warum eine Baustelle ein riesiger Schatz sein kann.
Auf Schloss Freudenberg entstand vor 20 Jahren das erste Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne und des Denkens. Was kann der Besucher hier entdecken? Um was geht es?
Im Erfahrungsfeld durchwandert man das Schloss und den Park und erkundet die 160 Erfahrungsfeldstationen. Es ist eine Art „Labor“, in dem jeder experimentieren kann. Man begibt sich bewusst auf eine Entdeckungsreise der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit mit allen sieben Sinnen, das heißt mit dem Sehen, dem Hören und dem Riechen, mit dem Denken, dem Irren, dem Balancieren und dem Gehen. Wenn ich zum Beispiel gefragt werde: „Wie geht es dir eigentlich?“ oder „Um was geht es dir?“, dann kann ich das direkt erleben, indem ich gegenwärtig bin und indem ich mir das Gehen bewusst mache. Ich gehe auf dem Barfußweg, laufe über verschiedene Steine und Hölzer. Oder ich laufe durch den Dunkelgang, ohne etwas sehen zu können. So mache ich die Erfahrung, wie ich selbst über die verschiedenen Hindernisse gehe und wie es mir dabei geht. Nämlich wie sich das, was ich nach außen mache, auf mein Inneres bezieht.
Das Schloss bietet neben dem Erfahrungsfeld auch Konzerte, Lesungen, Schauspielaufführungen und Seminare. Gibt es einen gemeinsamen Nenner, der diese Veranstaltungen eint?
Es geht hier immer um die aktuellen Fragen: Wo stehe ich im Leben? Wer bin ich eigentlich? Wo will ich hin? Was ist mein Lebenssinn? Wach werden an einer Frage, an einer Aufgabe, mich bewusst damit auseinanderzusetzen. Und schließlich zur Wahrnehmungsfähigkeit und zur freien Urteilsfähigkeit zu gelangen.
Lex Bos war einer der Mitbegründer der Triodos Bank und auch bei der Entstehung von Schloss Freudenberg beteiligt. Wie kam es dazu?
Der Kontakt zu Lex Bos kam über seine Methode der „Dynamischen Urteilsbildung“, zu der er in seinen letzten Jahren sehr intensiv geforscht hat. Ich war in seiner Master Class in Deutschland und in den Niederlanden. Lex Bos war mein Lehrer. Für mich war die Frage ganz wichtig, wie man ein Unternehmen gemeinsam mit den Menschen im Unternehmen führt. Da hat mir Lex Bos als Mensch und mit seiner Methode sehr viel Unterstützung gegeben. Seine „Dynamische Urteilsbildung“ zeigt, wie ich zu einer selbstbestimmten Entscheidung zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft komme. Die Bedingungen werden ja immer komplexer und daraus stellen sich die Fragen: Wie und wohin orientiere ich mich? Wie führe ich den Arbeitsprozess? Wie erkenne ich die Zukunft in der Vergangenheit und wie die Vergangenheit in der Zukunft? Und wie komme ich zu einer freien Urteilsbildung und zu eigenverantwortlichem, kreativem und nachhaltigem Handeln. Und wie können diese Fähigkeiten für die Mitarbeiter angewandt werden? Das ist soziale Kunst. Für mich ist der Freudenberg eine soziale Skulptur, an der ich als Gründerin und Geschäftsleiterin jeden Tag plastiziere und gestalte.
Lex Bos hat als einer der Gründer der Triodos Bank Geld in einem gesellschaftlich-sozialen Sinn gesehen und konsequent danach gehandelt. Geld muss für den Menschen und die Sache sinnvoll sowie nachhaltig Werte schaffen und nicht nur aus sich selbst heraus Profit machen. Und so arbeite ich auch auf dem Freudenberg seit 20 Jahren.
Das Schloss Freudenberg ist ein über 100 Jahre altes, denkmalgeschütztes Gebäude mit einem erheblichen Sanierungsbedarf. Sie haben sich dafür entschieden, zu sanieren und gleichzeitig Ihre zahlreichen Aktivitäten fortzuführen – mit einer Bauzeit von 1993 bis 2070. Warum und wie funktioniert ein Kulturbetrieb inmitten einer dauerhaften Baustelle?
Das war eine ganz bewusste Entscheidung. Uns war klar, dass nicht alles sofort perfekt und fertig ist, sondern immer im Prozess – so wie wir Menschen auch. Man baut ja auch das ganze Leben an sich selbst und ist in dem Sinne eine permanente Baustelle. Was außen ist, hat stets mit uns selbst als Menschen zu tun. Von Anfang an gehört das zusammen. Wir versuchen auf Schloss Freudenberg die Verbindung zu schaffen zwischen den Traditionen und Qualitäten des Handwerks und dem Erfahrungsfeld.
An dem Denkmal sanieren wir gerade die 57 alten Schlossfenster. Auf der einen Seite wollen wir so gut wie möglich die Fenster erhalten und auf der anderen Seite zukünftig die Wärme im Haus halten. Da haben wir traditionelle Handwerker beauftragt, die uns sagten, das Holz müsse mit Leinöl gepflegt werden. Daraus haben wir eine Aktion gemacht. Zusammen mit unserem Gärtner haben wir ein Leinölfeld angelegt. Als die Blüten reif waren, haben Kinder und Besucher selbst die Pflanzen gepresst und Leinöl hergestellt. Ein leckerer Salat mit Leinöl wurde verköstigt. So lernen die Kinder und auch die Erwachsenen im unmittelbaren Geschehen. Das ist unsere Grundhaltung: alle das Schloss betreffenden Themen unmittelbar mit den Besuchern zu erleben, sich sinnlich und gedanklich damit auseinanderzusetzen.
Das Schloss Freudenberg finanziert sich selbst und verzichtet bewusst auf Zuschüsse aus öffentlicher Hand. Das ist ungewöhnlich für Einrichtungen aus Kunst und Kultur. Wie gelingt Ihnen das?
Wir wollen Aufgaben gestellt bekommen und für unsere Fähigkeiten auch bezahlt werden. Die unternehmerische Basis dafür ist, auf die echten Bedürfnisse der Menschen einzugehen und zu erkennen, welchen Beitrag wir leisten können. Insofern leben wir von unseren Besuchern und von unserer Leistung. Wir erwirtschaften unsere Mittel selbst. Im Grunde genommen ist es eine ganz reale Wirtschaft. Im Jahr kommen 100.000 Besucher zu uns. Mittlerweile haben wir 80 Mitarbeiter. Wir haben keine Schulden, und durch diese finanzielle Unabhängigkeit haben wir eine unglaubliche Freiheit. Wir können sinnvoll für Schloss Freudenberg und die mitwirkenden Menschen Werte schaffen. Spenden und Zuwendungen verwenden wir für die Gestaltung neuer Erfahrungsfeldstationen, zur Fähigkeitsentwicklung des Teams, zur Unterhaltung der eigenen Schule und zur Erhaltung der Schlossbaustelle. jm
Seit 1993 ist das denkmalgeschützte Schloss Freudenberg in den Händen des gemeinnützigen Vereins „Gesellschaft Natur und Kunst“, der von Beatrice Dastis Schenk und Matthias Schenk zusammen mit einer Gruppe von Künstlern, Handwerkern und Pädagogen gegründet wurde. Die Kulturstätte bietet ihren Besuchern vielfältige Aktivitäten vom Erfahrungsfeld der Sinne und des Denkens über Seminare bis hin zu Konzerten. Unter dem Leitmotiv „Sanierung = Heilung durch Kunst und Kultur“ wird das 1904 erbaute Schloss wiederhergestellt.
Vielen Dank für den Kommentar!
Zur Veröffentlichung des Kommentars bitte den Link in der E-Mail anklicken.