Ein Tigerwürger würgt keine Tiger, ein Zitronenfalter faltet keine Zitronen und wer meint, vom Weinhähnchen statt zu werden, irrt gewaltig. Dieser kleine Vogel, der Schmetterling und die Heuschrecke sind nur drei von mindestens acht Millionen Tier- und Pflanzenarten auf unserem Planeten.

Obwohl wir bislang höchstens ein Viertel aller Arten auf unserem Planeten kennen, ihnen einen Namen gegeben haben und in den meisten Fällen gerade mal wissen, wo sie leben, oder lebten, vernichten wir Arten mit einer Geschwindigkeit, die vermutlich 1000-mal höher ist als die natürliche Aussterberate. Die letzten ca. 1000 Berggorillas leben noch in wenigen Nationalparks Zentral-Afrikas, und das letzte männliche Exemplar des nördlichen Breitmaulnashorns starb 2018. Aber auch ehemalige „Allerweltsarten“ wie die Feldlerche sind inzwischen selten geworden oder gar vom Aussterben bedroht. Heute verteilen sich 96% der gesamten Säugetierbiomasse auf nur drei Arten: den Menschen, das Hausrind und das Hausschwein...

Ist das ein Problem? Ja!

Biodiversität bedeutet nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch die Vielfalt von Genen und Ökosystemen, die über komplexe Prozesse miteinander verbunden sind. Dabei sind die Zusammenhänge in diesem World Wide Web of Life so kompliziert, dass wir sie bis heute kaum verstehen.

Wir wissen aber, dass Ökosysteme Leistungen erbringen, von denen unser Überleben abhängt. Sie regulieren das Weltklima über die Steuerung des globalen Wasserhaushalts und die CO2-Bindung, sie liefern Rohstoffe und Nahrung, wie Holz und Meeresfische. Sie stabilisieren Nährstoffkreisläufe und reinigen Luft und Wasser. Noch immer stammen die meisten Krebsmedikamente und die stärksten Schmerzmittel aus der Natur. Es gibt keinen Lebensbereich, und damit auch keinen Wirtschaftszweig, der nicht von der Intaktheit von Ökosystemen abhängig ist.

Weniger Individuen und weniger Arten heißt schlicht, weniger Leistungen der Natur - und zwar im Hinblick auf Qualität und Quantität.

Hochwasser und Sturmfluten fordern immer mehr Opfer, weil wir natürliche Schutzzonen wie Auen, Mangroven und Riffe vernichtet haben. Nur weil diese Ökosysteme schon zerstört waren, konnte Hurrikan Katrina in den USA einen Schaden von 150 Milliarden US-Dollar verursachen. Die Corona-Pandemie hat zur größten weltweiten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit geführt. Ihren Ursprung hat sie in der Zerstörung intakter, tropischer Waldökosysteme, durch die Coronaviren erst mit Menschen in Berührung kamen.

Zu lange haben wir gedacht, Finanzmittel und Arbeitskraft wären die einzigen beiden Kapitalstöcke, die unsere Wirtschaftsleistung bestimmen. Diese Rechnung kommt aber eben nicht ohne den dritten Faktor, das „Naturkapital“ aus.

Ein Team um den anerkannten Umweltökonom Robert Costanza hat 2014 die weltweiten jährlichen Leistungen von Ökosystemen für das Wohlergehen von Menschen (bezogen auf das Jahr 2011) auf über 140 Billionen US-Dollar beziffert. Im Vergleich: Das weltweite Bruttoinlandsprodukt lag laut Weltbank im selben Jahr bei gut 73 Billionen US-Dollar, also bei knapp der Hälfte.

Intakte Ökosysteme liefern nicht nur wertvolle Rohstoffe, sie schützen auch Leben und Eigentum und puffern damit Risiken ab, die Finanzdienstleistungen teurer machen oder das Ausfallrisiko von Krediten erhöhen. Damit hängen auch Branchen, in deren Wertschöpfungsketten der Verbrauch natürlicher Ressourcen keine Rolle spielt, wie bei Banken, Versicherungen oder anderen Dienstleistern von den Regulationsleistungen der Natur ab.

Kein Bereich des Lebens ist unabhängig von Ökosystemen

Kein Bereich unseres Lebens – Ernährung, Gesundheit, Sicherheit, Wohnen, Freizeit, Arbeit – ist unabhängig von dem, was Ökosysteme für uns leisten. Biodiversität ist Dienstleister, Ideengeber, Erholungsfaktor und Garant tiefer Zufriedenheit.

Ohne Biodiversität und Ökosystemleistungen wird das Leben von Menschen nicht schwieriger, sondern unmöglich, denn ersetzen können wir diese Leistungen nur schlecht und teuer, meist aber gar nicht.

Ignoranz gegenüber der Bedeutung von Biodiversität und Ökosystemleistungen ist damit sehr gefährlich, nicht nur für schon jetzt bedrohte Tier- und Pflanzenarten, sondern für uns alle. Und wer jetzt doch noch mal genauer wissen will, was die Mücke je für uns getan hat, dem sei gesagt, dass Mücken die einzigen Bestäuber von Kakao sind. Ohne Mücke keine Schokolade! Noch Fragen?

Ein Gastbeitrag von Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg

Über die Autorinnen

 

Dr. Frauke Fischer ist Biologin und Gründerin der Agentur auf!, die Unternehmen bei ihrem Engagement für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und den erhalt von Biodiversität berät. Dr.

Dr. Hilke Oberhansberg ist Wirtschaftswissenschaftlerin, studiert Interdisziplinäre Umweltwissenschaften und arbeitet nach vielen Jahren in internationalen Konzernen nun im Bereich Umweltbildung und –beratung.

In ihrem Buch „Was hat die Mücke je für uns getan? – Endlich verstehen, was biologische Vielfalt für unser Leben bedeutet“ werfen die Autorinnen eine unterhaltsamen Blick auf die faszinierende Welt der Tiere und Pflanzen, deren Ökosysteme uns Nahrung, Sicherheit, Gesundheit und so viel mehr schenken und machen deutlich, was passieren muss, damit wir das Artensterben noch aufhalten können.