Wer das verstehen will, sollte in seiner berühmten Dichtung „Faust II“ blättern, erschienen 1808. Am Anfang lässt sich besichtigen, wie verhängnisvoll eine inflationäre Geldpolitik ist. Am Ende zeigen sich die zerstörerischen Wirkungen einer Ökonomie, die grenzenlose Expansion auf ihre Fahnen schreibt. Und jedes Mal hat Mephisto die Hände im Spiel, um Faust und seine Welt ins Unglück zu stürzen.

Inflationäre Geldpolitik

John Law führte das Papiergeld 1720 in Frankreich ein, ohne dass diese finanztechnische Erfindung langen Bestand hatte. Das Papiergeld wurde rasch entwertet. Diese Verwerfungen im Wirtschaftsleben fanden auch in Goethe einen aufmerksamen Beobachter. Erich Trunz schreib in seinen Kommentaren zu Goethes „Faust", dass sich der Dichter auch mit Volkswirtschaft beschäftigte - ein Interesse, das sich aus seiner Tätigkeit als Beamter am Weimarer Hof entwickelte.

Die Goldespforten sind verrammelt / Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt / Und unsre Kassen bleiben leer.
Schatzmeister in Faust II

Goethe erlebte 1792 beim Feldzug in Frankreich, wie das französische Papiergeld im Wert verfiel und Opfer von Fälschungen wurde. Ebenso beobachtete er auf Reisen nach Böhmen, dass österreichisches Papiergeld rasch an Wert verlor. Gegenüber Graf Reinhard bemerkt Goethe in einem Brief 1811: „Die Konfusion mit den Bankzetteln und dem Gelde ist groß ... Nur die Handelsleute, besonders die Bankiers, wissen, was sie wollen, und werden reich dadurch...".

Um diese „Konfusion“ zu illustrieren, schickt Goethe im „Faust II“ seine Helden an einen Kaiserhof. Dort klagt der Schatzmeister: „Die Goldespforten sind verrammelt / Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt / Und unsre Kassen bleiben leer." Staatspleite.

Mephisto sagt dazu: „Wo fehlt´s nicht irgendwo auf dieser Welt? / Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.“ Darauf präsentiert er sein Patentrezept: „Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen. / In Bergesadern, Mauergründen / ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden / Und fragt ihr mich, wer es zutage schafft: / Begabten Mannes Natur und Geisteskraft."

Mephisto macht jetzt nicht den Vorschlag, in der Erde nach Gold zu graben oder Edelsteine zu suchen - also ein materielles Äquivalent zum Papiergeld anzuhäufen. Nein! Seine mephistophelische Idee lautet: Alle ökonomischen Probleme lassen sich mit Papiergeld lösen. Gold und Silber müssten gar nicht in Schatzkammern lagern, weil ihre potentielle Existenz über der Erde als imaginäres Äquivalent völlig ausreiche. Denn in der Erde schlummerten genug Schätze, um als Deckung für an sich wertloses Papiergeld zu dienen. Der Kanzler ahnt die Absurdität dieser Idee: „Der Satan legt auch goldgewirkte Schlingen: / Es geht nicht zu mit frommen rechten Dingen."

Doch die „goldgewirkten Schlingen“ erkennt niemand am Kaiserhof. Und Mephisto lässt hemmungslos Papiergeld drucken, um alle Bedürfnisse des Kaisers zu befriedigen: „Paläste, Gärten, Brüstlein, rote Wangen“, wie sie der Astrologe symbolisch benennt, inklusive eines sexistischen Einschlags.  Es folgen farbenfrohe Karnevalszenen, die auf der Bühne zeigen, wie die Gier nach Gold und Geld menschliche Herzen bewegt. Faust tritt in der Maske des Plutus auf; als Gott des Reichtums lässt er „Dukaten hüpfen".

Ein gewaltiges Gaukelspiel voller Illusionen, das schnell zusammenbricht. Natürlich kommt vom Papiergeld zu viel in Umlauf, die Wirtschaft kollabiert durch Inflation – und ein Bürgerkrieg bricht aus. Des Kaisers Selbsterkenntnis ist bitter: „Es war nur Schein, allein der Schein war groß.“

Grenzenlose Expansion

Die Hybris der Moderne spiegelt sich schon im „Faust II“, als Goethe die Gefahren der Inflation ins Visier nimmt. Genauso kritisiert der Dichter eine riskante Wachstumsökonomie, die ihre hässliche Fratze am Ende des epochalen Werks erhebt.

Worum geht´s? Als Unternehmer erobert Faust die Welt; er trotzt dem Meer gewaltige Landmassen ab, um sie in den Dienst der Menschheit zu stellen. Grenzen werden verschoben, Begrenzungen aufgehoben. Fausts Handeln steht paradigmatisch für eine Wachstumsökonomie, die in ihrer exponentiellen Dynamik natürliche Schranken ignoriert und stets suggeriert, ein grenzenloses Wachstum sei in einer begrenzten Welt möglich. Was für eine Illusion!

Den hohen Preis dafür nennt Baucis, die alte Dame auf dem Hügel: “Menschenopfer mußten bluten / Nachts erscholl des Jammers Qual / Meerab flossen Feuergluten / Morgens war es ein Kanal.“ Baucis lebt mit ihrem Mann Philemon zusammen, umgeben von Lindenbäumen und einem „morschen Kirchlein“, wo ein „Glöcklein“ friedlich läutet. Eine bescheidene Idylle, die Faust nicht erträgt: „Des Glöckchens Klang, der Linden Duft / Umfängt mich wie in Kirch' und Gruft.“ Dieser Hügel ist der letzte Ort, den Faust in seinem Expansionsdrang noch nicht unter Kontrolle gebracht hat: „Vor Augen ist mein Reich unendlich / Im Rücken neckt mich der Verdruß (sic!)“.

Dieser „Verdruß“ (sic!) hat furchtbare Konsequenzen, obwohl Faust bereits Herr der gesamten Welt geworden ist: „Die Alten droben sollten weichen / Die Linden wünscht' ich mir zum Sitz / Die wenig Bäume, nicht mein eigen / Verderben mir den Weltbesitz.“ Eigentlich gibt Faust die Anweisung, die Alten nur umzusiedeln - doch unterm Einfluss von Mephisto gipfelt diese Aktion in einer Katastrophe, deren Augenzeuge der Türmer Lynkeus wird: „Ach! die guten alten Leute / Sonst so sorglich um das Feuer / Werden sie dem Qualm zur Beute! / Welch ein schrecklich Abenteuer!“  Mephisto und drei gedungene Söldner machen kurzen Prozess - und töten auch einen Gast, der bei Philemon und Baucis zu Besuch ist.

Zeit für einen Paradigmenwechsel

„Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, da unser ökonomisches Wachstumsmodell an deutliche Grenzen stößt“, fordert daher Prof. Thomas Fischer, Lehrbeauftragter für Führungspsychologie an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz. Seine These: Der Weg führt über die Selbstreflexion der Menschen, das Sein verwandelt sich durch Bewusstsein. Der umgekehrte Weg ist zum Scheitern verurteilt ist. „Mehr Glück durch mehr Güter“ – diese Formel sei eine Milchmädchenrechnung: Der „psychologische Grenznutzen“ materieller Güter geht gegen null, so Prof. Fischer.

Ob Goethe dieser Idee zustimmen würde? Sein altes Paar Philemon und Baucis steht für eine vergehende Welt der Bescheidenheit, die dem Herrschaftsanspruch von Faust zum Opfer fällt. Ein eindringlicher Appell, über die zerstörerischen Aspekte der Wachstumsökonomie nachzudenken - und eine intensive Debatte über menschliches Glück zu beginnen.