Über die Landesgrenzen hinaus gilt Wildpoldsried als Modelldorf für die Energiewende, doch Wildpoldsried ist kein Einzelfall. Auch Gemeinden wie Feldheim in Brandenburg oder Saerbeck in Nordrhein-Westfalen haben durch Bürgerenergieprojekte ihren Weg in eine nachhaltige und wirtschaftlich starke Zukunft gefunden.
Formen der Bürgerbeteiligung
Was vor Jahrzehnten als Vision einzelner Pioniere begann, hat sich zu einer tragenden Säule der deutschen Energiewende entwickelt. Rund ein Drittel der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland stammt heute aus Anlagen in Bürgerhand. Diese Zahl verdeutlicht, wie sehr die Energiewende von unten getragen wird – von Menschen, die nicht länger warten wollen, sondern selbst aktiv werden möchten. Menschen, die sich auf unterschiedliche Weise organisieren.
1. Energiegenossenschaften mit demokratischer Stimmverteilung
Energiegenossenschaften haben sich als besonders erfolgreiche Form der Bürgerbeteiligung etabliert. Allein unter dem Dach des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV) sind 951 Energiegenossenschaften mit insgesamt 220.000 Mitgliedern gelistet, die bereits 3,6 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investiert haben.
Das Besondere an Genossenschaften ist die demokratische Struktur: Alle Mitglieder haben unabhängig von der Höhe ihrer Beteiligung nur eine Stimme und damit das gleiche Mitspracherecht. Diese demokratische Grundordnung verhindert effektiv, dass die Genossenschaft von externen Investoren aufgekauft werden kann und sichert so die lokale Kontrolle über die Energieerzeugung.
Für Einzelpersonen bieten Energiegenossenschaften zahlreiche wirtschaftliche Vorteile. Die Höhe der Mindesteinlage ist sehr unterschiedlich, doch in vielen Fällen ist schon für weniger als 100 Euro ein vergleichsweise niedriger Einstieg möglich. Wer investiert, profitiert unmittelbar von den erwirtschafteten Überschüssen durch Dividenden oder von vergünstigten Energiepreise. Jede Genossenschaft wird von einem Vorstand und Aufsichtsrat professionell geleitet und durch den Genossenschaftsverband regelmäßig überprüft, was zusätzliche Sicherheit bietet und zu einer Insolvenzquote von gerade einmal 0,1 Prozent beiträgt.
2. Bürgerwindparks in kommunaler Hand

Bürgerwindparks stellen eine Form der Energieerzeugung dar, bei der Windkraftanlagen von Bürgern gemeinsam mit Kommunen finanziert und betrieben werden. Zu diesem Zweck wird häufig eine Kommanditgesellschaft (GmbH & Co. KG) als Rechtsform gewählt. Die Bürger beteiligen sich als Kommanditisten im Verhältnis ihres eingezahlten Kapitals an der Windparkgesellschaft und partizipieren entsprechend an den Gewinnen des Betriebs. Die Kommune behält dabei in der Regel besondere Kontrollrechte, um sicherzustellen, dass der Windpark sowohl wirtschaftlich als auch im Sinne der Gemeinde betrieben wird. Zusätzlich zur direkten Rendite für die Bürger generiert ein kommunaler Bürgerwindpark auch Gewerbesteuern für die Gemeinde, die gemäß § 6 EEG bis zu 0,2 Cent pro Kilowattstunde eingespeisten Strom erhalten soll. Einnahmen, die neue Kita-Plätze schaffen oder die Freiwillige Feuerwehr erhalten – sprich, die am Ende wieder allen in der Gemeinde zugutekommen.
3. Mieterstrommodelle für Solaranlagen
Bei diesem Konzept wird Strom aus einer Photovoltaikanlage auf dem Dach eines Mehrfamilienhauses direkt an die Bewohner geliefert, ohne das öffentliche Netz zu nutzen. Diese dezentrale Energieversorgung bietet zahlreiche Vorteile für alle Beteiligten und wird seit 2017 durch den Mieterstromzuschlag staatlich gefördert.
Mieter:innen können durch den Bezug von Mieterstrom zum Klimaschutz beitragen, ohne selbst Eigentümer einer Immobilie sein zu müssen. Dabei profitieren sie von erheblichen Kosteneinsparungen, die oft sogar höher sind als die gesetzlich verankerten 10 % gegenüber dem Grundversorgungstarif. Der Preisvorteil entsteht, weil beim Mieterstrom keine Netzentgelte, Stromsteuern, Konzessionsabgaben oder netzseitigen Umlagen anfallen.
Vermieter:innen können durch den Verkauf des selbst erzeugten Stroms zusätzliche Einnahmen generieren. Dies ist wirtschaftlich attraktiver als die reine Einspeisung ins Netz, da höhere Gewinne über den direkten Verkauf an Mieter:innen erzielt werden können. Vermieter:innen können dabei von staatlichen Förderungen wie dem Mieterstromzuschlag profitieren. Zudem gibt es finanzielle Anreize und steuerliche Vorteile, die den Aufbau und Betrieb von Mieterstromprojekten wirtschaftlich attraktiv machen. Für die zunehmende Zahl umweltbewusster Mieter:innen ist die Möglichkeit, in einer nachhaltigen Wohnanlage zu leben, ein entscheidendes Kriterium bei der Wohnungssuche. Der Mieterstrom steigert daher auch die Vermietbarkeit bzw. den Wert der Immobilie.

Angesichts steigender Energiekosten und des wachsenden Umweltbewusstseins stellen Mieterstrommodelle eine zukunftsfähige Lösung dar, die sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Je nach individuellen Bedürfnissen und Rahmenbedingungen können verschiedene Mieterstrommodelle umgesetzt werden:
- Direkte Vermarktung: Der Anlagenbetreiber verkauft den erzeugten Strom direkt an die Mieter:innen. Den Reststrom beziehen diese von einem externen Anbieter. Nachteil: Bei dieser Variante entfällt der Mieterstromzuschlag.
- Vermieter:innen als Energieversorger: Der bzw. die Vermieter:in deckt den gesamten Strombedarf der Mieter:innen. Diese Variante ist für Mieter:innen am attraktivsten, bedeutet aber mehr Aufwand für den bzw. die Vermieter:in, da er/sie sich um Messstellen und Verträge kümmern muss. Dafür wird er/sie mit dem Mieterstromzuschlag belohnt.
- Genossenschafts-Modell: Mieter:innen können sich zu einer Energiegenossenschaft zusammenschließen und die Anlage gemeinsam betreiben oder pachten. Genossenschaften dürfen bis zu 30 % ihrer Umsätze aus dem Betrieb von Photovoltaikanlagen für Mieterstrom erzeugen, ohne steuerliche Vorteile zu verlieren.
- Contracting-Modell: Seit der Novelle des EEG 2021 können Vermieter:innen die Errichtung und den Betrieb der Photovoltaikanlage sowie den Stromverkauf an einen externen Partner auslagern, ohne den Anspruch auf den Mieterstromzuschlag zu verlieren.
4. Bürgerfonds für erneuerbare Energieprojekte

Bürgerfonds bieten eine niedrigschwellige Möglichkeit der finanziellen Beteiligung an Energieprojekten. Ein Beispiel ist der Bürgerenergiefonds NRW, der Zusammenschlüsse von Bürgern, Kommunen und juristischen Personen in der Phase der Vorplanung und Machbarkeitsprüfung von Bürgerenergieprojekten unterstützt.
Der Fonds fördert Vorhaben zur Stromerzeugung in den Sektoren Windenergie, Photovoltaik, Wasserkraft und Bioenergie mit bedingt rückzahlbaren Zuschüssen bis zu 300.000 Euro pro Projekt. Ziel ist es, finanzielle Risiken in der Vorplanungsphase abzufedern, den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen und die Akzeptanz vor Ort zu erhöhen.
5. Weitere Beteiligungsmöglichkeiten
Die bisher vorgestellten Modelle stellen nur einen Ausschnitt der vielfältigen Möglichkeiten dar, wie Bürger aktiv an der Energiewende teilhaben können. In der Praxis hat sich eine breite Palette an Beteiligungsformen entwickelt, die je nach lokalen Gegebenheiten, Projektgröße und Präferenzen der Beteiligten zum Einsatz kommen.
Bemerkenswert ist dabei auch die Vielfalt an Rechtsformen, die für Bürgerenergieprojekte genutzt werden. Neben Genossenschaften und GmbH & Co. KGs kommen auch gemeinnützige Stiftungen zum Einsatz, die Teile der Erlöse aus Energieprojekten für gemeinwohlorientierte Projekte in der Gemeinde verwenden.
Vorteile und Chancen
Die Beteiligung an Bürgerenergieprojekten bietet weit mehr als nur finanzielle Renditen. Bürgerenergieprojekte halten die wirtschaftlichen Vorteile in der Region. Kapitaleinkommen, Betriebserlöse, Arbeitnehmerentgelte und daraus resultierende Steuereinnahmen beflügeln die lokale Wirtschaft und die kommunalen Haushalte. Das Geld bleibt größtenteils in der Region, auch weil vor allem lokale Dienstleister eingebunden werden. Diese lokale Wertschöpfung ist besonders für strukturschwache Regionen im ländlichen Raum von großer Bedeutung. Durch den Bau und Betrieb von Bürgerenergieanlagen entstehen neue Arbeitsplätze vor Ort und Kommunen profitieren von der Steigerung der Wertschöpfung.
Zukunftsaussichten
Für die Zukunft ist es entscheidend, dass Politik und Behörden beteiligungsfreundliche Rahmenbedingungen für Bürger:innen schaffen und strukturelle Hindernisse systematisch beseitigen. Darüber hinaus liegt die Zukunft der Bürgerenergie in der weiteren Vernetzung und dem Ausbau regionaler Innovations-Ökosysteme. Durch den Aufbau einer bundesweiten Bürgerenergie-Innovations-Community, wie sie etwa im Projekt „CommunitE-Innovation“ angestrebt wird, können Bürgerenergiegemeinschaften voneinander profitieren. Gemeinsam mit wissenschaftlichen Einrichtungen und weiteren gesellschaftlichen Akteuren heben sie das Innovationspotenzial beschleunigen damit die Energiewende.
Dass innovative Technologien und digitale Plattformen in Zukunft eine noch stärkere Rolle spielen werden, belegt auch das „BEGforum“. Dieses ermöglicht bereits heute den Austausch von Best-Practice-Lösungen zu Themen der dezentralen Energiewende und bietet die Möglichkeit, Erfahrungen bei der konkreten Projektumsetzung zu teilen.
Die dezentrale, gemeinschaftsgetragene Energiewende wird durch die stärkere Vernetzung von Bürgerenergiegemeinschaften neuen Schwung bekommen. Bürgerenergie wird so immer mehr zu einem selbstverständlichen Bestandteil der deutschen Energiewirtschaft. Einer, der zeigt, dass, wenn Menschen gemeinsam Energie erzeugen, mehr entsteht als nur Strom und Wärme. Es entstehen Zusammenhalt, wirtschaftliche Stärke und echte Demokratie in der Energieversorgung. Durch Bürgerenergieprojekte erhalten Menschen eine aktive Teilhabe an der lokalen Energieversorgung und werden eine treibende Kraft der Energiewende. In Zukunft wird diese Kraft noch zunehmen. Power on!
Vielen Dank für den Kommentar!
Zur Veröffentlichung des Kommentars bitte den Link in der E-Mail anklicken.