Herr Reese, wie sehen Sie die aktuelle Vermögensverteilung in Deutschland?
Peter Reese: In Deutschland besitzen die reichsten 10 % rund 67,3 % des Vermögens, das reichste Prozent sogar 35,3 %, während die ärmsten 50 % nur 1,3 % besitzen. 8% aller Haushalte sind hierzulande überschuldet. Besonders krass konzentriert sich das Vermögen an der Spitze in den Händen weniger Industrie-Dynastien, so dass fünf Milliardärs Familien hierzulande mehr Vermögen besitzen als die ärmere Hälfte der gesamten Bevölkerung (knapp 42 Mio. Menschen). Auch im Vergleich zu anderen OECD-Staaten ist die Vermögenskonzentration in Deutschland besonders hoch, was international immer wieder bemängelt wird, weil diese hohe Vermögenskonzentration in den Händen weniger Familien die Wirtschaft und Innovation in Deutschland schwächt und die Demokratie destabilisiert.
Triodos Redaktion: Was sind die wichtigsten Ansatzpunkte für mehr Steuergerechtigkeit?
Peter Reese: Wir fordern die konsequente Abschaffung und Rücknahme aller legalen Steuergeschenke für Hochvermögende, die in den letzten Jahrzehnten schrittweise in das deutsche Steuerrecht hinein lobbyiert wurden. Konkret fordern wir die Abschaffung der Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer, eine Reaktivierung und kluge Ausgestaltung der Vermögenssteuer und die progressive Besteuerung aller Einnahmen; auch aus Spekulation und Kapitalerträgen. Der Gegenwert dieser legalen Steuergeschenke für Vermögende beträgt rund 80. Mrd. Euro pro Jahr. Zudem fordern wir die Stärkung der Steuerbehörden, um Steuerraub und -hinterziehung angemessen begegnen zu können. Hier gehen dem Fiskus weitere 100 Milliarden Euro pro Jahr verloren. Zusammengenommen verzichtet unser Staat so auf rund 180 Mrd. Euro an jährlichen Einnahmen, was bedeutet, dass jeder werktätige Normalverdiener hierzulande rund 4.000 Euro zu hohen Steuern auf Arbeit und Konsum zahlt, um diesen Fehlbetrag auszugleichen. Stellen Sie sich einmal vor, wieviel Wohlstand, Lebenszufriedenheit und damit auch Stabilität unser Land gewinnen könnte, wenn man den 45 Mio. Werktätigen hierzulande 4.000 Euro an Steuern pro Jahr erlassen könnte? Die Menschen könnten Rücklagen aufbauen und für das Alter vorsorgen. Wir könnten den Freibetrag bei der Einkommensteuer deutlich erhöhen, das tatsächliche Existenzminimum damit steuerfrei stellen, die Kalte Progression abschaffen und den Mittelstandsbauch glätten. Zudem würde sich der fiskalische Spielraum wieder erhöhen und wir müssten die öffentlichen Güter nicht weiter verkommen lassen.
Triodos Redaktion: Herr Reese, warum ist Steuergerechtigkeit Ihrer Meinung nach so wichtig?
Peter Reese: Das steuerfinanzierte Staatswesen, der Rechtsstaat, Sicherheit und öffentliche Güter sowie auch ein stabiler Sozialstaat sind die Grundlagen unseres modernen Lebens. Kaum jemand wollte darauf verzichten. Diese „soziale Marktwirtschaft“ hat unserem Land nach dem zweiten Weltkrieg einen beispiellosen Wohlstand in Frieden und Freiheit ermöglicht. Steuern sind somit der Preis, den wir alle zahlen müssen, um Mitglieder in einer prosperierenden Gesellschaft zu sein. Dabei ist es wichtig, dass alle Bürgerinnen und Bürger nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden, wir das Existenzminimum freistellen und Vermögen und Kapitalerträge ebenso heranziehen, wie wir Arbeit und Konsum besteuern. Leider ist in den letzten Jahrzehnten hier ein Missverhältnis eingetreten und wir besteuern Arbeit und Konsum – auch im internationalen Vergleich – sehr hoch, während wir Einkünfte aus Kapital sehr niedrig besteuern.
Triodos Redaktion: Kritiker sagen, höhere Steuern könnten Unternehmen gefährden und Kapital ins Ausland treiben. Wie sehen Sie das?
Peter Reese: Hier sehe ich kein großes Problem. Rund 30 Prozent aller Vermögenswerte weltweit sind ohnedies schon in Steuerverstecken geparkt und durch den internationalen Datenaustausch und eine moderne Wegzugsbesteuerung ist die Steuerflucht nicht mehr einfach. Wichtig zu wissen ist zudem, dass die Erbschaftsteuer und Vermögenssteuer von Privatpersonen geschuldet wird und dass das Betriebsvermögen von Kapitalgesellschaften mithin nicht betroffen ist. Für den Mittelstand gibt es Freibeträge und Ausnahmeregelungen. Im Gegenteil ist es sogar so, dass dynastische Kontinuität nachweislich Innovation und Wirtschaftskraft schwächen, weil Erben fast nie die besseren Unternehmenslenker sind und zu oft einfach nur den Status quo verwalten. Öffnungsklauseln und Stundungsregelungen könnten das Bild abrunden.
Triodos Redaktion: Was halten Sie von der aktuellen Erbschaftssteuerregelung?
Peter Reese: Die aktuellen Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer sind verfassungswidrig und offen gesagt ein Skandal. Besonders ärgerlich ist die Verschonungsbedarfsprüfung, die bei Erbschaften und Schenkungen ab 26 Mio. Euro zur Anwendung kommen kann und so faktisch zu einer nahezu kompletten Freistellung von der Steuer führt. Erbschaften unterhalb dieser Grenze unterliegen demgegenüber einer deutlich höheren Besteuerung. Unter Vermögenden wird die Erbschaftsteuer deshalb auch gerne die „Dummensteuer“ genannt, denn wer genügend Vermögen hat, kann diese Steuer gezielt umgehen. So werden große Vermögenspakete getarnt als Betriebsvermögen nahezu steuerfrei übertragen. Die Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer stellen im Subventionsbericht der Bundesregierung seit vielen Jahren immer die teuerste Subvention hierzulande dar; zuletzt in Höhe von 8,8 Mrd. Euro an legalen Steuergeschenken für Hochvermögende.
Gibt es historische Beispiele für funktionierende Vermögenssteuern?
Peter Reese: Länder wie die Schweiz und Norwegen haben bis heute eine Vermögenssteuer. Gute Beispiele aus der Historie wären die USA oder auch Großbritannien. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland unter Konrad Adenauer sogar eine Vermögensabgabe, um die sozialen Folgen des Krieges zu bewältigen. Niemand hat damals gejammert, und das Land hat prosperiert. Die Vermögenssteuer wurde bis 1996 in Deutschland erhoben und danach ausgesetzt. Wichtig wären angemessene Freibeträge, die Otto-Normal-Steuerbürger und Häuslebauer ebenso wie für das Alter angesparte kleine Vermögen verschonen. Es geht bei der Vermögenssteuer nur um große Vermögen von Multimillionären und Milliardären. 99% der Bevölkerung wären nicht betroffen.
Triodos Redaktion: Welche sozialen Folgen sehen Sie durch die aktuelle Steuerpolitik?
Peter Reese: Die aktuelle Steuerpolitik fördert eine Konzentration der Vermögenswerte in den Händen immer wenigerer Menschen. Das ist schädlich für Wirtschaft und Gesellschaft, belastet Arbeit und Konsum steuerlich unangemessen hoch und zerstört das Vertrauen in unsere Demokratie ebenso sehr, wie es Lebenschancen der Menschen im Land schmälert. Gesellschaften mit geringerer Ungleichheit sind nachweislich produktiver, gesünder und glücklicher.
Triodos Redaktion: Wie stehen Sie zur Besteuerung von Immobilien, Gold, Bitcoin und anderen Vermögenswerten?Peter Reese: Die Spekulationsgewinne auf Immobilien sind nach einer Haltefrist von zehn Jahren steuerfrei. Bei Gold, Bitcoin, Kunst und Oldtimern verzichtet der Fiskus nach einem Jahr Haltefrist auf eine Besteuerung der Spekulationsgewinne. Selbstredend haben sich um diese Ausnahmen ganze Anlagestrategien Hochvermögender aufgebaut, die Immobilien gezielt zehn Jahre und einen Tag halten. Jüngst kamen einige Krypto-Millionäre hinzu, die sich ebenfalls verwundert die Augen reiben, dass ihre Zugewinne komplett steuerfrei sind. Wenngleich diese Ausnahmeregelungen für kleine Vermögen und selbstgenutzte Immobilien sicherlich Sinn machen, ist es absurd, diese Ausnahmen ebenso bei großen Portfolien anzuwenden.
Was ist Ihr Fazit zur aktuellen Steuerpolitik?
Peter Reese: Wir besteuern Arbeit und Konsum hoch, privilegieren Einkünfte aus Kapital und Stellen unrealisierte Zugewinne bei Vermögenswerten (Unternehmen, Aktien, Immobilien, Edelmetalle, Kryptowährungen, Kunst, Oldtimer) komplett von der Steuer frei. Insgesamt liegt Deutschland im OECD-Vergleich bei vermögensbezogenen Steuereinnahmen im Verhältnis zum BIP sehr weit unten. Wir erheben in Deutschland nur die Grundsteuer, eine Grunderwerbsteuer und Rudimente einer Erbschaftsteuer. Hiermit treffen wir vor allem Normalverdiener, die sich Eigentum aufbauen wollen oder zu einem kleinen Wohlstand gekommen sind, während große Vermögen auch diese Steuern oft umgehen können. Jetzt wird auch noch eine Senkung der Körperschaftsteuer beschlossen, obwohl diese wirtschaftspolitisch keinen Sinn macht und ohnedies zusammen mit der Gewerbesteuer die letzte Steuer darstellt, die Hochvermögende hierzulande überhaupt noch zahlen, wenngleich es auch hierbei erheblichen Gestaltungsspieleraum gibt. Was mich auch ärgert ist, dass wir beim aktuellen Kassensturz unseres Staates mal wieder Spielraum nur gegenüber den Ärmeren ausloten und beim Bürgergeld ansetzen. Das nimmt den ärmsten Menschen im Land noch mehr die Möglichkeit, Lebenskrisen zu meistern und steigert leider sogar die Obdachlosigkeit hierzulande.
Steuern zahlen sollte für Vermögende wieder eine Ehrensache sein, denn tatsächlich fehlt uns dieses Geld massiv und es ist ungerecht, für den Fehlbetrag die öffentlichen Güter und Dienstleistungen zu schleifen und die ärmeren 99% steuerlich höher als nötig zu belasten.
Triodos Redaktion: Wie entstand die Initiative „Tax Me Now“?
Peter Reese: Wir sind eine Initiative von Vermögenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und seit Ende 2021 als Verein organisiert. Die Mitglieder von taxmenow engagieren sich aus der Perspektive von Vermögenden für Steuergerechtigkeit. Wir wünschen uns die angemessene Besteuerung von Vermögen und Kapitalerträgen, um die ärmeren 99% im Land steuerlich zu entlasten, den Spielraum für den Fiskus für wichtige Investitionen zu erhöhen und insgesamt als demokratisches Land zukunftsfähig zu sein. Wir sehen in der großen Ungleichheit hierzulande und weltweit eine Ursache für die Multikrisen, die unser Planet gerade durchläuft.
Triodos Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch!



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