Frau Karbe-Geßler, Sie sind von der Deutschen Industrie- und Handelskammer zum Bund der Steuerzahler gewechselt. Wie hat sich Ihre Arbeit und Ihre Position seitdem verändert?

Eigentlich gar nicht so sehr. Bei der DIHK war ich viele Jahre in der Referentinnenposition und habe mich dort mit Themen wie Einkommensteuer, Lohnsteuer, Erbschaft- und Vermögensteuer beschäftigt. Der Unterschied ist, dass ich jetzt beim Bund der Steuerzahler die Leitungsfunktion innehabe. Das heißt, ich entscheide eigenständig und in eigener Verantwortung. Die steuerlichen und steuerpolitischen Themen sind aber im Kern die gleichen – nur die Struktur der Mitglieder, deren Interessen wir vertreten, ist jetzt vielfältiger.

Was sind die zentralen Interessen, die Sie heute vertreten?

Wir vertreten die Interessen aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler – egal, ob Unternehmer, Rentner oder Arbeitnehmer. Das ist ein Unterschied zur DIHK, die den Fokus auf Unternehmen legt. Aber die Arbeit im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren, die Gespräche bei Veranstaltungen und im Austausch mit Abgeordneten sind sehr ähnlich.

Wie schätzen Sie die Besteuerung von Erbschaft und Vermögen in Deutschland ein – geht es aus Ihrer Sicht gerecht zu?

Gerechtigkeit ist eine Definitionsfrage. Und ansonsten sehr subjektiv. Aus der jeweils eigenen Wahrnehmung heraus sind „reich“ meist immer die anderen. Deswegen orientiere ich mich in meiner Arbeit an den rechtlichen Grundlagen. Unser Steuersystem basiert auf dem Leistungsfähigkeitsprinzip, das heißt: Diejenigen, die über höhere Einkommen verfügen können, müssen höhere Steuern zahlen. Nach diesem Grundsatz werden in Deutschland vor allem im Bereich Ertragsteuern die Steuern erhoben.

Und welche Herausforderungen sehen Sie in Ihrer täglichen Arbeit?

Die Umsetzung des Leistungsfähigkeitsprinzips ist nicht immer einfach. Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer handelt es sich zum Beispiel um eine Substanzsteuer. Es kommt hier nicht darauf an, welches Einkommen aus dem Erbe oder der Schenkung erzielt werden kann.

Das Problem sehen wir an einer ganz anderen Stelle: Insbesondere die Bewertung von Erbschaften und Schenkungen ist in der Praxis sehr komplex und langwierig, vor allem bei Immobilien und Unternehmen. Die Verfahren ziehen sich oftmals hin, weil die Finanzämter den Wert – nach Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts muss es der Verkehrswert sein – erst aufwendig ermitteln müssen. In der Regel ist der Verkehrswert nicht bekannt – und es gibt zahlreiche komplexe Verfahren der Bewertung, die teils nur einer Schätzung gleichkommen. Ob der Wert erzielt werden kann, bleibt häufig ungewiss.

Andere Länder wie zum Beispiel Österreich gehen einen anderen Weg und setzen beim Thema Erben auf eine Art Grunderwerbsteuer. Aber auch dort gibt es die Bewertungsprobleme. Das aktuelle Besteuerungssystem  in Deutschland, was nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt wurde, funktioniert, ist aber komplex und kompliziert. Wer gut beraten ist und langfristig plant, kommt besser durch – wer schlecht beraten ist, zahlt oft mehr. Eine grundlegende Reform müsste aber vor allem auch das Bewertungsproblem lösen – sie sollte nicht nur die Steuersätze oder Freibeträge ändern oder Begünstigungen für Unternehmen streichen.

Sie sprechen sich also aktuell für Verbesserungen im bestehenden System aus, aber fordern keine radikalen Änderungen?

Genau. Auch wir sind keine Bewertungsspezialisten für Betriebsvermögen und Immobilien, aber wir sehen, dass die aktuellen Regelungen grundsätzlich funktionieren. Verbesserungen im Detail sind aber durchaus sinnvoll – zum Beispiel bei Freibeträgen bei Erbschaften und Schenkungen. Der Grund liegt auf der Hand: Diese Freibeträge sind seit 2009 unverändert und bilden weder die Wertsteigerungen noch die gesellschaftliche Situation ab – mit Blick auf Familien ohne Kinder oder unverheiratete Steuerzahler:innen. Eine komplette Abschaffung oder Neustrukturierung müsste sehr gut durchdacht und konstruktiv diskutiert werden.

Der Bund der Steuerzahler ist bekannt für die „Schuldenuhr“ und die Kritik an Sondervermögen. Was sind Ihre wichtigsten Anliegen in diesem Bereich?

Wir sehen seit Jahren steigende Steuereinnahmen, selbst während der Coronakrise. Aus unserer Sicht gibt es also kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Die Politik, also die Ministerien, müssen deshalb Prioritäten setzen und sich auf Kernaufgaben konzentrieren. Schuldenfinanzierte Sondervermögen sind keine echte Lösung, denn sie bergen die Gefahr, oft für alles Mögliche genutzt zu werden – und sind nicht nur auf Investitionen beschränkt. Das Verschuldungsproblem führt somit zu steigenden Zinslasten, die die künftigen Bundeshaushalte sehr stark belasten – das Geld fehlt dann für Bildung, Investitionen oder für steuerliche Impulse. Vor diesem Hintergrund fordern wir Transparenz und Sparsamkeit – so darf es zum Beispiel nicht sein, dass ein neues Digitalministerium mit teuren Doppelstandorten entsteht oder ständig mehr Regierungs-Personal eingestellt wird, ohne dass klar ist, wo gespart werden kann.

Stichwort Rechenschaftspflicht – wie stehen Sie dazu in Fällen offensichtlicher Verschwendung von Steuergeldern, zum Beispiel beim Einkauf von FFP2-Masken während der Corona-Pandemie?

Das ist ein großes Thema für uns – und ein Fall im aktuellen Schwarzbuch. Wir fordern seit Jahren, dass es auch für festgestellte Steuerverschwendung oder für die Missachtung von Haushaltsvorschriften einen Straftatbestand geben sollte – ähnlich wie die Untreue im privatrechtlichen Bereich. Das würde die Sensibilität der Entscheider im Umgang mit öffentlichen Mitteln präventiv erhöhen. Im Zweifelsfall wäre es dann auch möglich, Verantwortung klarzustellen, wenn Steuergeld falsch eingesetzt wird!

Zusammengefasst: Was sind Ihre Kernforderungen?

Steuererhöhungen sind völlig fehl am Platz. Die Einnahmen steigen stetig! Die Diskussion sollte sich darauf konzentrieren, wie die Politik die Steuern – also fremdes Geld – sinnvoll einsetzt und wie die Steuerlast fair verteilt wird. Beim Einkommensteuertarif fordern wir Entlastungen für den unteren und mittleren Bereich, während der obere Bereich ab einer Million Einkommen auch mehr leisten könnte. Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist eine Grundsatzdiskussion über die Bewertung notwendig – und nicht nur über Steuersätze und Freibeträge. Das System ist komplex, aber  grundsätzlich funktioniert es.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Karbe-Geßler!

Sehr gern – ich freue mich auf den Austausch auf der Fair Finance Week!